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Nachhaltigkeit und ihre Bedeutung für die öffentliche Beschaffung (Teil 1)

Nachhaltigkeit ist in aller Munde und verlor auch trotz der in vielerlei Hinsicht dynamischen Lage in den letzten Jahren nicht an Bedeutung – im Gegenteil. Die klimatischen Entwicklungen erfordern Veränderungen im Umgang mit den natürlichen Ressourcen, für die die öffentliche Beschaffung ein wesentlicher Treiber sein kann. Obwohl das Prinzip grundsätzlich kein Neues ist, führt die Vielzahl an Instrumenten zu Unsicherheiten bei der Umsetzung.

Nachhaltigkeit ist grundsätzlich nichts Neues

Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt aus dem Forstwesen und wurde von Hans Carl von Carlowitz bereits im frühen 18. Jahrhundert wesentlich geprägt. In der Sylvicultura oeconomica[1]sprach er sich gegen die schonungslose Abholzung der Waldbestände aus und plädierte für eine nachhaltige und kontinuierliche Bewirtschaftung des Waldes. Aus Sorge fehlenden Holzbedarfs sollte nur so viel Holz entnommen werden wie nachwächst.

Heutiges Verständnis nachhaltiger Entwicklung: Triple Bottom Line

1987 veröffentlichte die World Commission on Environment and Development den Brundtland-Bericht, der nachhaltige Entwicklung als eine Entwicklung definierte, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.[2] Dabei sollten ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungsziele in Einklang miteinander gebracht werden. Mitte der 90er Jahre hat John Elkington diese gleichrangige Bedeutung mit dem Begriff der „triple-bottom-line“ bis heute geprägt.[3]

Klimatische Entwicklungen forcieren ökologische Nachhaltigkeit

Das Prinzip insbesondere der ökologischen Nachhaltigkeit verliert nicht an Relevanz – im Gegenteil. Seit der Industrialisierung wird eine Steigerung der globalen Mitteltemperatur beobachtet – im Zeitraum von 1880 bis 2020 um mehr als 1,2°C.[4] Waren bis zum Beginn der Industrialisierung die Auswirkungen menschlicher Eingriffe noch lokal begrenzt beobachtbar, verursachen diese mittlerweile globale Änderungen im Stoffhaushalt der Atmosphäre.[5] Die Gründe liegen im starken Anstieg der Verbrennung fossiler Energieträger, in Änderungen bei der Landnutzung, der Ausweitung der Viehwirtschaft sowie der industriellen Produktion.[6] 

Planetare Belastbarkeitsgrenzen teilweise erreicht oder sogar überschritten

Das von Rockström et al. entwickelte Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen[7] definiert für neun verschiedene Bereiche wissenschaftlich begründete Schwellenwerte, bei deren Überschreitung sich die Funktionsweise des Planeten wesentlich verändern kann. Nach diesem Konzept wurden bereits zwei der Bereiche, „genetische Vielfalt“ und „biogeochemische Flüsse“, überschritten; bei zwei weiteren, „Landnutzungswandel“ und „Klimawandel“ wurde der Grenzbereich erreicht. Ohne das Fundament einer stabilen Umwelt und intakten Natur sind auch soziale und ökonomische Entwicklungsziele, wie gesunde Lebensbedingungen zu schaffen, Armut zu beenden, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität zu ermöglichen, schwer zu erreichen.[8]

Öffentliche Beschaffung hat wesentliche Steuerungsfunktion

Für eine Transformation der Wirtschaft kommt dem Beschaffungsteil der Lieferkette eine besondere Bedeutung zu, da er vor dem Hintergrund globaler Lieferketten für den "nachhaltigkeitssensibleren" Teil der gesamten Wertschöpfung verantwortlich ist. Zudem hat die Beschaffung die Möglichkeit Einfluss auf Lieferanten zu nehmen, nachhaltige Praktiken einzuführen und damit eine wesentliche Steuerungsfunktion.[9] Dies betrifft insbesondere auch den öffentlichen Sektor, dessen Institutionen europaweit jährlich etwa 2 Bio. € für die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen ausgeben.[10] Durch die konsequente Forderung von Nachhaltigkeit bzw. die Bevorzugung nachhaltiger Angebote, können Anstöße für eine Weiterentwicklung der Märkte gegeben werden.

Besondere Relevanz des Bildungssektors

Zudem obliegt öffentlichen Auftraggebern das Einnehmen einer Vorbildrolle für eine sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft.[11] Diese spielt gerade im Bildungssektor mit dem Auftrag der Werterziehung eine tragende Rolle. Überdies wurden IT und Schreibwaren im Rahmen des Umweltprogramms der UN von einer Expertenrunde als die beiden relevantesten Warengruppen für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung rangiert.[12]

Dies geht einher mit dem aktuellen Wandel des Bildungssystems, der in der EU insbesondere durch den Aktionsplan für digitale Bildung (2021-2027) unterstützt wird. Im Rahmen einer gemeinsamen Vision einer „hochwertigen und inklusiven digitalen Bildung“ sollen Bildungs- und Ausbildungssysteme der Mitgliedstaaten an das digitale Zeitalter angepasst werden. Ziel ist eine grünere, digitalere und widerstandsfähigere Europäische Union zu schaffen. Die Prioritäten liegen dabei auf der Förderung der Entwicklung eines leistungsstarken Ökosystems für digitale Bildung einerseits und auf der Ausstattung mit digitalen Kompetenzen andererseits. [13]

Politik unterstützt Wandel zu nachhaltigerer öffentlicher Beschaffung

Der Wille, Maßnahmen nachhaltiger öffentlicher Beschaffung einzuführen, spiegelt sich auch in den, immer schneller aufeinander folgenden, politischen Entscheidungen wieder. Die EU-Kommission verfolgt seit Anfang der 2000er Ziele der umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung, das später zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung erweitert wurde und als Prozess definiert wurde, „bei dem Behörden versuchen, bei der Beschaffung von Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen in allen Projektphasen ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung“ zu erreichen. 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Entwicklungsagenda 2030. Ihr Kernstück sind 17 sogenannte Ziele für nachhaltige Entwicklung. Das Ziel 12 zu nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern konzentriert sich speziell auf die Förderung "nachhaltiger Praktiken im öffentlichen Beschaffungswesen im Einklang mit den nationalen Politiken und Prioritäten".[14] In der Richtlinie 2014/24/EU (Begründung 74) wurde weiterhin festgelegt, dass öffentliche Beschaffer technische Spezifikationen umsetzen müssen, die den Nachhaltigkeitszielen Rechnung tragen.[15]

European Green Deal und Circular Economy als Transformationsstrategien

Insbesondere in den letzten Jahren und Monaten hat man sich auf europäischer Ebene ambitionierte Ziele mit den Initiativen zum Green Deal und zur Circular Economy gesetzt. Der Green Deal ist die Wachstumsstrategie der europäischen Kommission zur nachhaltigen EU-Wirtschaft mit dem Ziel bis 2045 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden.[16] Der Aktionsplan für die Circular Economy soll dabei helfen diese Ziele umzusetzen und den Ressourcenverbrauch langfristig vom Wirtschaftswachstum entkoppeln.[17]

Ausblick: Markt bietet Möglichkeiten

Auf Marktseite sind bereits entsprechende Produkte verfügbar, die den kreislauforientierten Ansatz verfolgen. edding bspw. führt Produktionsabfälle in den Produktionsprozess zurück und sammelt Abfälle gebrauchter Produkte durch Rücknahmeboxen, um diese wiederaufbereiten und wiederverwenden zu können. So entstehen Whiteboard- und Flipchartmarker aus 90% Recyclingmaterial. Vor der Rückgabe leerer Marker können diese noch bis zu 15x wiederaufgefüllt werden und haben so einen deutlich längeren Lebenszyklus. Zugehörige, fast vollständig recyclebare Whiteboards werden von Legamaster aus zertifiziertem Holz und mit cradle-to-cradle[18] zertifizierter Oberfläche bereitgestellt. Für die digitale Bildung erfolgte eine Spezialisierung auf besonders energieeffiziente Screens. Neben der Herstellung kreislauforientierter Produkte setzt die Organisation intern insbesondere auf Energiemanagement. Mithilfe von Photovoltaikanlagen, Wärmerückgewinnungssystemen und nachhaltiger Mobilität werden CO2-Emissionen konsequent reduziert. Der sozialen Komponente der Nachhaltigkeit wird durch Einbezug von Behindertenwerkstätten, verschiedenen Engagements in den jeweiligen regionalen Bezirken der Standorte sowie einer regen Mitarbeiterbeteiligung nachgekommen.

Umsetzung obliegt öffentlichen Auftraggebern

Wenn auch die Notwendigkeit einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung erkannt wurde und politische Ambitionen getätigt wurden, obliegt die konkrete Umsetzung in Beschaffungsvorhaben den öffentlichen Auftraggebern.[19] Wie diese Umsetzung aussehen kann, auf welche Herausforderungen öffentliche Einkäufer dabei stoßen und welche Möglichkeiten und Chancen insbesondere der Bildungsbereich bietet, lesen Sie in Teil II und III der Serie.

 

Fußnoten

[1] Vgl. von Carlowitz (1713)

[2] Vgl. WCED (1987)

[3] Vgl. Elkington (1997)

[4] Vgl. IPCC (2021)

[5] Vgl. WMO (2021)

[6] Vgl. Rahmstorf (2013), Agrawala (1998), WBCSD (2010)

[7] Vgl. Rockström et al. (2009)

[8] Vgl. BMUV (2021), Steffen et al. (2015)

[9] Vgl. Saunders et al. (2020)

[10] Vgl. Eßig/Schaupp (2016), Europäische Kommission (2017)

[11] Vgl. BMWK (2022)

[12] Vgl. UNEP (2017)

[13] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2016)

[14] Vgl. Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (2014)

[15] Vgl. Europäische Kommission (2019), S. 2

[16] Vgl. Europäische Kommission (2019), S. 2

[17] Vgl. Europäische Kommission (2020b), S. 2

[18] Cradle-to-Cradle („Von der Wiege zur Wiege“) beschreibt ein Designprinzip nach dem Produkte so entwickelt werden, dass sie am Ende ihres Lebens den Nährstoff für ein neues Produkt bieten. Der Cradle to Cradle Certified® Product Standard ist eine Zertifizierung, die Sicherheit, Kreislauffähigkeit und Verantwortung von Materialien und Produkten bewertet (vgl. Cradle to Cradle Products Innovation Institute).

[19] Vgl. Lundberg et al. (2015)

Referenzen

Agrawala, S. (1998). Context and early origins of the intergovernmental panel on climate change. In: Climatic Change, 39, S. 605-620.

BMUV (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz) (2021). Planetare Belastbarkeitsgrenzen, from https://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit-digitalisierung/nachhaltigkeit/integriertes-umweltprogramm-2030/planetare-belastbarkeitsgrenzen.

BMWK (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) (2022). Eröffnungsbilanz Klimaschutz, from https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/220111_eroeffnungsbilanz_klimaschutz.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (Letzter Aufruf: 24.03.2023)

BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) (2016). Die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung. https://www.bmz.de/de/agenda-2030 (Letzter Aufruf: 24.03.2023)

Elkington, J. (1997). Cannibals with forks: the triple bottom line of 21st century business. Oxford: Capstone.

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Europäische Kommission (2020a). Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Aktionsplan für digitale Bildung 2021-2027 – Neuaufstellung des Bildungswesens für das digitale Zeitalter. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0624

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Europäisches Parlament und Rat der europäischen Union (2014). Richtlinie 2014/24/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0024&from=DE (Letzter Aufruf: 25.03.2023)

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