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Aktuelle Umsetzung von Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung (Teil 3)

Auch wenn nachhaltige öffentliche Beschaffung durch die EU gefördert wird und die vergaberechtlichen Möglichkeiten geschaffen wurden, wird nach wie vor überwiegend nach dem Preis vergeben. Konkrete Nachhaltigkeitskriterien finden sich verhältnismäßig wenig in den Vergabeunterlagen wieder und erhalten geringe Gewichtungen. Als größte Hindernisse einer erfolgreichen Implementierung gelten insbesondere fehlende obligatorische politische Maßnahmen sowie Training und finanzielle Ressourcen – obwohl Studien zeigen, dass sich nachhaltige Beschaffung nicht nur aus ökologischer Sicht lohnen würde. Potenzial wird insbesondere in engerer Abstimmung mit den Marktteilnehmern gesehen.

Besonderheit der öffentlichen Beschaffung: Öffentliche Ausschreibungen

Die Besonderheit des öffentlichen Auftragswesens liegt insbesondere in der Regulierung durch Richtlinien, Verordnungen und Gesetzen auf europäischer sowie nationaler Ebene. Um eine bestmögliche Verwendung der eingesetzten Steuergelder sicherzustellen, sollen durch wettbewerbliches Verhalten zwischen den Auftragnehmern bestmögliche wirtschaftliche Lösungen beschafft werden.[1] Zu diesem Zweck werden die Bedarfe öffentlich ausgeschrieben, inklusive der geforderten Spezifikationen des Bedarfs und der Vergabekriterien. Für die Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung ist die Auswahl nachhaltig agierender Lieferanten von großer Bedeutung, da sie den Einkäufern die Möglichkeit bietet, die Umwelt- oder soziale Leistung durch Einbeziehung spezifischer Kriterien in den Entscheidungsprozess zu verbessern.[2]

Integration von Nachhaltigkeitskriterien auf verschiedenen Verfahrensstufen möglich

Im Rahmen der öffentlichen Ausschreibungen lassen sich Nachhaltigkeitskriterien an verschiedenen Stellen mit verschiedenen Wirkweisen integrieren.[3]

  1. Spezifikation/Qualifikation: In der Leistungsbeschreibung kann die Spezifikation des Bedarfes nach nachhaltigen Belangen ausgerichtet werden. Zudem können Anforderungen an die Bieterorganisation gestellt werden (insofern die Forderung in konkretem Zusammenhang mit dem Auftrag steht). In diesem Fall sind die Kriterien obligatorisch vom Bieter zu erfüllen („Muss-Kriterien“).
  2. Zuschlag: Auf der anderen Seite können Nachhaltigkeitskriterien auch bei der Zuschlagserteilung berücksichtigt werden. So kann der Bieter ohne diese Kriterien zu erfüllen zwar am Wettbewerb teilnehmen, besonders nachhaltige Angebote werden jedoch bevorzugt („Kann-Kriterien“).
  3. Ausführungsbedingungen: Um die vorher festgelegten Nachhaltigkeitsbelange auch in der Lieferung bzw. Ausführung zu manifestieren, erfolgt nach dem Zuschlag noch die Überführung in die Ausführungsbedingungen bzw. Vertragsunterlagen.

Forschung zeigt: Unspezifische Kriterien und wenig Nachhaltigkeitswettbewerb

In den vergangenen Jahren haben sich mehrere Studien der Untersuchung dieser Vergabeunterlagen auf Nachhaltigkeitskriterien gewidmet. Dabei wurden verschiedene Warengruppen in verschiedenen Ländern in den Blick genommen, wie z.B. IT-Beschaffung in Norwegen[4], Reinigungsleistungen in Schweden[5] und Deutschland[6], Bauleistungen in Italien[7] und in Spanien[8], Möbel in Spanien[9] sowie warengruppenübergreifende Untersuchungen in Schweden, Finnland, Dänemark, Belgien und weiteren europäischen Ländern.[10] Trotz unterschiedlicher „Settings“ der Untersuchungen kommen alle zum gleichen Fazit: Es ist noch Luft nach oben! Nachhaltigkeit taucht generell noch wenig in öffentlichen Ausschreibungen auf (z.B. 35% in spanischen Bauausschreibungen, 23% diverser Warengruppen in Belgien und 9,5% diverser Warengruppen in 33 europäischen Ländern). Die Stellen, die sich konkret auf Nachhaltigkeit beziehen, bleiben zudem häufig oberflächlich. Im Rahmen der Bedarfsspezifikation oder der Bieterqualifikation werden eher allgemeine Formulierungen verwendet oder z.B. auf Gesetzlichkeiten in Bezug auf Umweltschutz hingewiesen.[11] Der Auftragszuschlag wird überwiegend nach Preisen und Qualitätskriterien vergeben, während Nachhaltigkeit auf dieser Verfahrensstufe eine unwesentliche Rolle spielt (z.B. Gewichtung von durchschnittlich 6% bei spanischen Bau- sowie Möbelausschreibungen, Gewichtung von 2% bei deutschen Reinigungsausschreibungen).[12] So bleibt die eigentlich gewünschte Anreizfunktion für Marktteilnehmer durch Nachhaltigkeitskriterien aus, da kein echter Nachhaltigkeitswettbewerb stattfindet.[13]

Größte Treiber und Barrieren: Finanzielle Mittel, Wissen und politische Regelungen

Um mögliche Hürden dieses Implementierungsdefizits zu identifizieren, wurden im Rahmen des Umweltprogramms der UN 2022 242 Experten der nachhaltigen Beschaffung (von internationalen Organisationen, lokalen Behörden, Unternehmen, gemeinnützigen Organisationen und Beratern) befragt.[14] Meistgenannt wurde die Wahrnehmung, dass nachhaltige Produkte und Leistungen teurer sind (37% der Befragten), das Fehlen obligatorischer Gesetzmäßigkeiten (35% der Befragten) sowie politischer und organisationaler Führung (29% der Befragten). Auch fehlendes Training der Einkäufer (26% der Befragten) sowie Expertise (25% der Befragten) und die Verfügbarkeit von nachhaltigen Produkten auf dem Markt (25% der Befragten) wurden angeführt. Auf der anderen Seite wurden politische Verpflichtungen und Ziele sowie verbindliche Regeln bzw. Gesetze zur nachhaltigen Beschaffung als die beiden wichtigsten treibenden Faktoren (44% bzw. 35% der Befragten) genannt. An dritter Stelle stand die Verfügbarkeit von Nachhaltigkeitskriterien und -spezifikationen (35% der Befragten).

Und nun? Turnaround für öffentliche Auftraggeber

Der Wille zur Stärkung nachhaltiger Beschaffung auf Seiten öffentlicher Auftraggeber ist da – und aus den genannten Einflussfaktoren lassen sich auch Stellschrauben ableiten, an denen öffentliche Auftraggeber für eine bessere Implementierung drehen können: Durch die Berücksichtigung von Lebenszykluskosten lassen sich häufig sogar finanzielle Vorteile aus nachhaltiger Beschaffung ziehen.[15] Für den Aufbau von Expertise greifen immer mehr öffentliche Auftraggeber zum Mittel einer organisationsinternen Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung – die sich in Vollzeit und in der Tiefe mit der Thematik beschäftigen kann.[16] Die Verfügbarkeit von nachhaltigen Produkten auf dem Markt kann zwar nur indirekt beeinflusst, aber in jedem Fall intensiv geprüft werden, z.B. durch eine vorherige Markterkundung.[17] Diese hilft zugleich bei der Festlegung von Kriterien und Spezifikationen, welche sich von Bedarf zu Bedarf unterscheiden und daher einer warengruppenspezifischen Festlegung, anstatt eines „One-Size-fits-all“ Ansatzes bedingen.

Ausblick: Distanzabbau zu Lieferanten

Angesichts der Komplexität und des begrenzten Angebots nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen plädiert das Umweltprogramm der UN für partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Anbietern und Auftraggebern, um den Weg zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung zu erleichtern.[18] Wie bereits mehrere Studien feststellten, betrachten Regierungen, die nachhaltige Beschaffung besonders erfolgreich umgesetzt haben, ihre Lieferanten eher als Kollaborateure.[19] Bei der Zusammenarbeit mit Lieferanten müssen sich die Regierungen über ihre Nachhaltigkeits8ziele im Klaren sein.[20] Da der Markt risikoscheu und träge sein kann, brauchen die Lieferanten ausreichend Zeit und klare Erwartungen[21]„nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.“ (Laozi)

Referenzen

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